Ein nachhaltiger Rohstoff für bio-basierte Verbundwerkstoffe
Historisch gesehen war Hanf über 2.000 Jahre lang ein bedeutsamer Rohstoff für die Industrie. Hanffasern wurden für technische Textilien wie Seile, Taue, Feuerwehrschläuche und Schiffssegel ebenso eingesetzt wie für Bekleidungstextilien und Papier. In den 1990er Jahren wurde Hanf als wichtiger Rohstoff für bio-basierte Produkte in einer nachhaltigen Bioökonomie weltweit wiederentdeckt und erfreut sich seitdem einer wachsenden Nachfrage. Wichtigste Anbau- und Produzentenregionen sind Europa und China, wichtigste Anwendungen sind Bio-Verbundwerkstoffe (naturfaserverstärkte Kunststoffe) sowie Bau- und Dämmstoffe. Gerade der Bereich der Biowerkstoffe zeigt große, noch nicht erschlossene Marktpotenziale, sowohl zur Verstärkung Erdöl-basierter Kunststoffe, zunehmend aber auch zur Verstärkung bio-basierter Kunststoffe.
Erfolgsstory Automobilindustrie: Aktuelle Trends und neue Anwendungen
Im Jahr 2005 – neuere Daten liegen nicht vor – wurden in der deutschen Automobilindustrie 30.000 t (EU: 40.000 – 50.000 t) Naturfaser-Verbundwerkstoffe eingesetzt (ohne Holz) und hierzu ca. 19.000 t (EU: 30.000 t) Naturfasern benötigt. Zum Einsatz kamen europäischer Flachs (ca. 65%) und Hanf (ca. 10%), die übrigen 25% wurden durch Importe aus Asien (Jute, Kenaf, Kokosfasern, Abaca) gedeckt. Naturfaser-Formpressen, mit einem Anteil von 95% die dominante Verarbeitungstechnologie, ist ein etabliertes und bewährtes Verfahren zur Produktion großflächiger, leichter und hochwertiger Innenraumbauteile in Mittel- und Oberklassewagen.
Die Vorteile (Leichtbau, Crashverhalten, Formbeständigkeit, Kaschierbarkeit, je nach Gesamtkonzept auch Preis) und Nachteile (begrenzte Form- und Designgebung, Stanzabfälle, Kostennachteile bei hoher Teile-Integration im Bauteil) sind wohlbekannt. Optimierungen des Prozesses sind im Gange, um bestimmte Problemfelder wie Stanzabfälle zu reduzieren und Abfälle zu recyceln. Mit modernem One-Shot-Formpressen können auch direkt weiche Oberflächen integriert werden, was im Spritzguss bislang nicht möglich ist.
Zwischen 2005 und 2009 stagnierte der Einsatz von Naturfasern in der europäischen Automobilindustrie, in Deutschland ging er sogar leicht zurück, nachdem er zwischen 2000 und 2005 jährlich zweistellig gewachsen war. Seit 2009 ist aber wieder eine wachsende Nachfrage zu verzeichnen: Neue Modelle fast aller Automobilkonzerne, die dieses oder nächstes Jahr auf den Markt kommen, haben wieder deutlich mehr Innenteile mit Naturfaserverstärkung. Dies liegt zum einen an der hohen Reife der Materialien, die sich in der Praxis seit Jahren bewährt haben, zum anderen aber auch an dem wachsenden Interesse der Automobilindustrie an Biowerkstoffen und Leichtbau – bei beidem können Naturfaserbauteile punkten. Zudem konnten in den letzten Jahren gerade beim Formpressen weitere Kosten- und Gewichtsreduzierungen erzielt werden.
Zudem zeichnen sich neue Trends ab: Die Automobilhersteller wollen Biowerkstoffe nicht nur verwenden, sondern sie auch ihren Kunden zeigen. Während bislang Naturfaserbauteile unter einer Kaschierung verschwanden und damit für den Kunden unsichtbar wurden, werden bald schon Fahrzeuge auf den Markt kommen, welche die Naturfasern unter transparenten Folien oder Lacken zur Schau stellen, bzw. ganz neue Oberfächeneffekte generieren. Ein weiterer Trend geht dahin, auch die Kunststoffmatrix bio-basiert zu produzieren, d.h. Innenraumteile aus PLA oder Bio-PP in Kombination mit Naturfasern herzustellen. Während solche 100% bio-basierten Compounds in Japan schon bald in den Autos zu finden sein werden, dürfte dies in Europa noch etwas dauern.
Mit wieder steigender Nachfrage, neuen Konzepten und Unterstützung seitens der Politik für bio-basierte Produkte könnte bis 2015 in Europa ein Absatz von 40.000 bis 50.000 t Naturfasern in der europäischen Automobilindustrie entstehen, mindestens 10 bis 20% hiervon könnten mit europäischem Hanf gedeckt werden.
Dämmstoffe und viele weitere Anwendungen
Die zweite Erfolgslinie sind Hanfdämmstoffe, von denen in der EU etwa 3.000 bis 4.000 t jährlich produziert und am Markt platziert werden. Wichtigste Produzenten bzw. Anwender sind Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Die Eigenschaften der Hanfdämmstoffe sind sehr gut und werden von den Kunden geschätzt. Größere Absatzmärkte werden nur durch den relativ hohen Preis gegenüber Mineralfaser-Dämmstoffen erschwert. Hier können nur geeignete wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen helfen.
Neben der Automobil- und Bauindustrie gibt es zahlreiche kleinvolumigere Anwendungen wie Akten- oder Instrumentenkoffer, diverse Konsumartikel (z.B. Briefwaagen, Ladegeräte, Spielwaren) oder Schleifscheibenträger und Urnen. Letzere sind ein Beispiel für ein 100% bio-basiertes Produkt: Die Urnen werden aus Hanffaser-verstärkter PLA produziert und sind vollständig biologisch abbaubar.
Bei den genannten Beispielen spielt – neben dem schon erwähnten Formpressen – das Spritzgießen eine wichtige Rolle. Die zunehmend bessere Verfügbarkeit hochwertiger Naturfaser-Spritzguss-Granulate wird hier schnell weitere Anwendungen erschließen.
Neue Aufschlussprozesse
Seit einigen Jahrzehnten wird in der EU und Nordamerika intensiv an neuen Aufschlussverfahren für Flachs- und Hanffasern geforscht, um Naturfasern neue, hochpreisige Anwendungsfelder erschließen zu können. Zwei herausragende Technologien, die kurz vor ihrer kommerzieller Umsetzung stehen und bereits heute modifizierte Hanffasern in der Größenordnung von einigen hundert Tonnen pro Jahr produzieren: Zum einen der Crailar- Prozess aus Kanada, der auf den Einsatz von Hanffasern in der Textilindustrie zielt, und zum anderen der Ultraschallaufschluss der Firma Ecco-Gruppe aus Deutschland, der auf hochwertige technische Fasern ausgerichtet ist.
Während sich der technische Naturfasermarkt weltweit nach oben bewegt, stellt sich die Frage nach Preisen und Versorgungssicherheit. In wichtigen asiatischen Anbauländern können die Anbauflächen für Jute und Kenaf nicht erweitert werden, da eine erhebliche Flächenkonkurrenz mit anderen Nutzungen besteht. Besser sieht es bei Sisal aus, hier ist eine Ausweitung der Anbauflächen in trockene Regionen Afrikas und Südamerikas möglich, in denen kaum andere Kulturen angebaut werden können. Aber auch die europäische Produktion steht unter Druck: Die Anbauflächen von Flachs sinken aufgrund starker Flächenkonkurrenz zur geförderten Bioenergie sowie der Abhängigkeit von Exporten nach China, das weniger textile Flachslangfasern abnimmt. Beim Hanf sind dagegen Ausweitungen der Anbauflächen möglich, sofern ähnliche Renditen wie im Lebens- und Futtermittelbereich bzw. bei Energiepflanzen erzielt werden können. Auch in China wachsen die Anbauflächen für Hanf, der dort vor allem Baumwolle im Bekleidungstextilbereich ersetzen soll.
Im Dezember 2009 verhängte Bangladesh erstmalig einen Exportstopp für Jutefasern, der erst im Februar 2010 für bestimmte Qualitäten wieder teilweise aufgehoben wurde. Gründe für das Embargo waren drei Jahre mit schlechten Ernten und eine steigende Nachfrage aus insbesondere Indien (Verpackungen) und China (u.a. Verbundwerkstoffe), wodurch der Juteindustrie in Bangladesh der Rohstoff auszugehen drohte. Infolge des Embargos stiegen die Jutepreise um 50 bis 100%. Zur selben Zeit stiegen auch die Sisalpreise auf Grund einer schweren Dürre in Ostafrika.
Jute und Kenaf werden zu 80% in asiatischen Verpackungen (Säcke) verwendet, Sisal vor allem als Taue und Erntebänder. Naturfaser-Verbundwerkstoffe stellen demgegenüber noch kleine Märkte dar, die relativ leicht bedient werden können.
Der allgemeine Trend zur Dynamisierung der Agrarmärkte hin zu volatilen Preisen aufgrund schneller Reaktionen der Landwirte auf Nachfrage- und Renditeänderungen und lokalen Flächenengpässen, verstärkt durch Spekulanten, erreicht nun auch die Welt der Naturfasern. Lange Zeit waren die Preise, verglichen mit anderen Agrarprodukten oder Erdöl, recht stabil. Es wird aber auch zukünftig erwartet, dass Naturfasern für Non-wovens und Spritzguss preislich unter (deutlich) 1 €/kg bleiben werden, so dass sie für Verbundwerkstoffe interessant bleiben.
Die Grafik zeigt die Preisentwicklungen für wichtige Naturfasern und im Vergleich die Preisentwicklung bei Erdöl und Polypropylen. Eine besonders hohe Preisstabilität zeigen europäische Flachs- und Hanfkurzfasern, die nach einer langen Phase der Preiskonstanz nur moderate Preissteigerungen erfuhren und nun aktuell wieder eine hohe Preiskonstanz aufweisen. Insgesamt stiegen die Preise für Flachs- und Hanfkurzfasern innerhalb von sieben Jahren um weniger als 10%.
Alles in allem: Spannende Zeiten für den europäischen Hanf, der bei geeigneten Rahmenbedingungen ein erhebliches Wachstumspotenzial besitzt.
Diese Pressemitteilung als PDF: 10-04-19_pressetext_hanf_eiha